Tierschutzkommentar extra: Metzger, Jäger & Co. von Dr. Gunter Bleibohm |
Metzger, Jäger
& Co.
Die gefährlichsten
Momente der Weltgeschichte waren stets die Zeitabschnitte, in denen es einer
Einzelperson oder strukturierten Gruppierungen gelang, sowohl die Machthaber als
auch die Schlüsselfiguren des Volkes hinter einem gemeinsamen Gedanken, einer
Idee, einer Ideologie, hinter einem gemeinsamen Weltbild, zu vereinigen.
Die Vereinigung konnte
eine langsam wachsende sein oder, wie im Fall der Revolution, eine eruptive,
eine plötzliche, eine Veränderung, das bisherige Gedankengut wegspülende
Flut.
Waren die Hauptakteure
des Staates auf das neue Denken eingeschworen und durch ökonomische Zuwendungen
oder machtpolitische Vorteile fest für die Idee gewonnen, konnte die neue Sicht
der Dinge der zumeist wirtschaftlich abhängigen Bevölkerung aufoktroyiert
werden, gewaltsam oder schleichend. Beide Varianten sind durch zahlreiche Vorgänge
in den letzten Jahrhunderten mehrfach belegt. Die Französische Revolution als
gewaltsamer Umsturz, das Christentum als schleichender Änderungsprozess mögen
als Erinnerung genügen.
Die schleichende Einführung
neuer Denkweisen über mehrere Generationen minimiert einen potentiellen Rückfall
in vergangene, überholte Denkmuster, da die jüngsten Generationen mit der
neuen Wertauffassung aufwachsen und im Sinne dieser Gedankenwelt erzogen werden.
Die Gefahr einer Konterrevolution bei plötzlicher Änderung der Sichtweisen
sinkt – nach einer sehr kritischen ersten Phase – gleichfalls auch mit der
zunehmenden Anzahl neuer Generationen nach Revolutionsbeginn.
Sobald die neue,
akzeptierte Grundeinstellung sich in der Gedankenwelt der Bevölkerungsmehrheit
stabilisiert und verankert hat, wird sie nicht mehr oder kaum noch hinterfragt,
wird gelebt, wird als verbindlich und richtig anerkannt, sie ist zur neuen
gesellschaftlichen Norm geworden, sie
wurde vergesellschaftet.
Das ab diesem Wendepunkt
gültige Weltbild ist das Gesetz der Herrschenden, des Staates, der Wirtschaft,
der Medien, der sozialen Orientierung des Volkes, das herrschende Gesetz ist das
Gesetz einer, der allgemein
akzeptierten neuen Sinnesart.
Vorstehend skizzierter
Ablauf wird aber in seiner Norm nachgerade irreversibel manifestiert, wird das
politisch-gesellschaftliche Weltbild mit einem metaphysischen Überbau versehen,
der das gesamte tägliche Leben mit seinen vielfältigen Handlungen,
Entscheidungen und deren Folgen vor einem religiösen, gar göttlichen
Hintergrund rechtfertigt.
Um die heutigen
Gegebenheiten unserer westlichen Gedankenwelt in die modellhaft gegliederte Weltsicht
und stützende metaphysische
Rechtfertigung einzuordnen, sei der Gegenstand nachfolgender Ausführungen
primär auf den europäischen Kulturkreis, auf die Rolle des Christentums als
Hauptbestandteil westlicher Religionen, reduziert.
Ursache dieser
abscheulichen, jeder Moral und Ethik entbehrenden Denkungsart, ist in erster
Linie die unheilvolle Lehre der christlichen Kirche, den Mensch als Ebenbild
Gottes zu definieren, ihn gleich hinter Gott einzuordnen, weit vor dem Rest der
Natur und insbesondere weit vor der Pflanzen- und Tierwelt. Die Reihenfolge:
zuerst Gott, dann Mensch und zuletzt Natur und Tierwelt ist das
verbrecherischste Verdikt der gesamten Menschheitsgeschichte!
Dem Mitgeschöpf, dem
Tier, wird dadurch jedes wirkliche Recht, jedes soziale Empfinden, jede Art von
Psyche und nicht von ungefähr vom Christentum auch noch die Seele – als exklusives Geschenk des übermenschlichen Schöpfergottes – abgesprochen. Dieser anthropozentrische Irrsinn kulminiert darin, dass ein
vermeintliches Leben nach dem Tod nur den Menschen erwartet, dank seiner unsterblichen
Seele; allein der Beweis für diese Behauptung fehlt, konnte und kann nicht
erbracht werden.
Wird diese Vorstellung
noch durch das Argument des alleinigen Besitzes von Vernunft beim Menschen ergänzt,
wird die Unlogik und Haltlosigkeit dieser Denkweise offenbar.
Weder ist in einer
Gesamtbetrachtung der Weltgeschichte bei Kriegsgeschehen, Bevölkerungswachstum,
Umweltvernichtung und ungehemmter Ressourcenplünderung
überragende Begabung für das seltene Gut der Vernunft feststellbar,
noch ist sie bei Einzelbetrachtung ausgewählter Individuen als grundangelegt
erkennbar. Senile, schwere Fälle geistiger Behinderung und Demente rangieren
oftmals in ihrer Vernunft auf einem Niveau weit hinter hoch entwickelten Säugetieren;
auch der nicht explizit betrachtete Teil des homo sapiens zeigt Vernunft meist,
wenn überhaupt, nur partiell und/oder temporär.
Es ist somit allein der
Wahn des Menschen, seine paranoide Hybris, sich als etwas Höheres,
Bedeutenderes, Lebenswerteres zu halten; lebensverachtende Theologie hat ihm
dieses Empfinden eingeimpft, es ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Die
Menschen tun das Böse nie so vollständig und begeistert, wie wenn sie es aus
religiöser Überzeugung tun formuliert Umberto Eco diesen Fakt.
Das geschilderte religiöse
Fundament versuchen die Glaubenskonstrukteure zusätzlich mit der irrwitzigen
Behauptung zu zementieren, der Mensch sei das letztendliche Ziel der Schöpfung,
der Welt, der eine große Sinn des Universums. Diese hybride Vorstellung wurde
von der Philosophie immer wieder ad absurdum geführt, ist sie doch als der
eine große Unsinn im Universum entlarvt. Kant sah die Kernfragen der
Metaphysik, nämlich die Frage nach dem Weltanfang, nach dem Sinn des Weltganzen
und der Unsterblichkeit der Seele mit der Vernunft und Logik als unbeantwortbar,
als nicht verifizierbar, an.
Der christlich geprägte
metaphysische Rahmen, der das vollständig anthropozentrisch geprägte Weltverständnis
nicht nur der westlichen Hemisphäre bildet, wird somit zusammenfassend von
folgenden Säulen getragen:
·
Die Hierarchie aller Existenz
beginnt mit Gott, besitzt als Mittelbau den Mensch und dieser ist wiederum dem
Leben der gesamten Natur übergeordnet, das dem Menschen zu seinem Nutzen zur
Verfügung gestellt wurde. Der angebliche Gottesbefehl hierzu lautet:
1Und Gott
segnete Noah und seine Söhne und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und erfüllt
die Erde.
2Furcht und
Schrecken vor euch sei über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter
dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kriecht, und über alle Fische im
Meer; in eure Hände seien sie gegeben.
3Alles, was
sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich's euch
alles gegeben.
(Gen 9, 1-3)
·
Der Mensch ist das Ebenbild
Gottes.
·
Nur der Mensch besitzt eine
unsterbliche Seele und kann ewiges Leben erhoffen.
·
Nur dem Menschen ist
tiefgreifende Begabung zur Vernunft gegeben.
·
Der Mensch ist die Krone der
Schöpfung, ihr letztendliches Ziel und ihm ist eine Würde immanent, die
vorrangig vor jeder anderen Lebensform steht.
Vor dem Hintergrund
dieser metaphysischen Grundaxiome ist das heutig gültige, profane, weltliche
Denkmuster zu betrachten, welches als Transformator der metaphysischen Vorgaben
auf das tägliche Leben wirkt. Sigmund Freud beschreibt das Gesagte in folgenden
Zeilen: Eine besondere Bedeutung
beansprucht der Fall, dass eine größere Anzahl von Menschen gemeinsam den
Versuch unternimmt, sich Glücksversicherung und Leidensschutz durch wahnhafte
Umbildung der Wirklichkeit zu schaffen. Als solchen Massenwahn müssen wir auch
die Religionen der Menschheit kennzeichnen. Den Wahn erkennt natürlich niemals,
wer ihn selbst noch teilt.
Der Kapitalismus mit
seinen exzessiven Auswirkungen wird getragen von einer rein wirtschaftlich
orientierten Scheindemokratie – mit zunehmend deutlichen Tendenzen zur
Oligarchie und Ochlokratie -, was als Konsequenz zu exorbitantem Tiermissbrauch,
Tierausbeutung und Massenvernichtung allen nicht-menschlichen Lebens führt.
Ein weltweiter
Speziesismus, ein Artenrassismus ohnegleichen, ein Vernichtungsfeldzug, der
alles bisher Dagewesene an Verbrechen, Gemetzel und Ausbeutung der Tierwelt in
der Geschichte um Größenordnungen hinter sich lässt, hat seine moralische
Rechtfertigung durch archaische religiöse Vorstellungen erhalten.
Das Gleichheitsprinzip und Selbstverwirklichungsrecht, für die menschliche Spezies durch Menschenrechte, Religionsfreiheit und humanistische Ideale repräsentiert, wird nicht-menschlichen Lebensformen strikt verweigert. Seit Darwin sollten wir nämlich wissen, dass es biologisch und psychologisch zwischen Menschen und Tieren keinen prinzipiellen, sondern lediglich einen graduellen Unterschied gibt. Wenn wir auf dieser Grundlage das fundamentalste moralische Prinzip, das Gleichheitsprinzip, anwenden, ergibt sich der richtige Umgang mit Tieren fast automatisch: Wir schauen, welche Interessen Tiere haben und nehmen diese Interessen dann gleich ernst, wie wir vergleichbare menschliche Interessen ernst nehmen. Zweierlei wird augenblicklich klar: Wir treten das fundamentale moralische Gleichheitsprinzip mit Füßen. Und wir verüben unvorstellbare Verbrechen an Tieren fasst Kaplan diesen Tatbestand zusammen.
Im Zusammenwirken
zwischen Politik und christlicher Ideologie ist ein Weltbild entstanden, das zu
einer Verwahrlosung des sittlich-moralischen Empfindens und insbesondere des
Rechtsbewusstseins geführt hat; angesichts der maßlosen Verbrechen
muss von einer totalitären Metaphysik
gesprochen werden.
Es hat eine
Vergesellschaftung des Grauens, des Unrechts stattgefunden, das zwischenzeitlich
ohne weitere Hinterfragung als Recht und rechtens verinnerlicht wurde, da Staat
und Kirche die klare Botschaft aussenden: Tiere
sind nicht wichtig, ihr könnt mit Tieren weiterhin so verfahren wie bisher und
Kaplan fährt fort: Die Schuld der Kirchen
am Elend der Tiere ist also eine zweifache: Weltanschaulich liefern sie die
Grundlage für die Verbrechen an Tieren. Und politisch schweigen sie zu den
Verbrechen an Tieren. Wer aber Verbrechen verschweigt, macht sich mitschuldig an
diesen Verbrechen.
Die Mordmaschinerie,
industriell perfektioniert, bürokratisch verwaltet, logistisch bis auf den
letzten Bauernhof durchgeplant, gesetzlich geregelt, ja gesetzlich und kirchlich
gewollt, ermöglicht es dem Normalbürger ein reines Gewissen zu behalten. Er
sieht sich frei von Schuld, frei von Verantwortung, er kann nach außen wie nach
innen, sich selbst gegenüber, widerspruchsfrei handeln. Die
Glaubensbereitschaft an die gemeinsamen, deckungsgleichen Botschaften von
Religion und Staat machen ihn zum Erfüllungsgehilfen eines entsetzlich
blutigen, grausamen Weltbildes, liefern ihm die Rechtfertigung, die Moral und
Ethik für eine Unkultur der Vernichtung. Der Metzger, der Pelzhändler, der Jäger,
jeder Tierausbeuter schlechthin, unterliegt somit keiner Ächtung, ist
gesellschaftlich integriert, gilt als Normalbürger, ist angesehen, wird für
notwendig und wichtig gehalten. Ausbeutung, Tiermord und Massenhinrichtungen von
Tieren sind konform mit dem Wollen des Volkes, sind in seiner Mitte verankert,
ein Umdenken scheint ausgeschlossen.
Haben sich
Tierausbeutung und Tiermord gar durch eine langjährige, oftmals Jahrhunderte
alte Tradition verfestigt und sind in
volkstümliche Veranstaltungen, genannt seien nur Stierkampf und Zirkus, oder -
im schlimmsten Fall - in religiöse Feste und Bräuche integriert, sind sie im Volksbewusstsein verfestigt und
nahezu irreversibel zementiert.
Die
geringe Sittlichkeit der Staaten nach außen, die sich nach innen als Wächter
der sittlichen Normen gebärden und die Brutalität im Benehmen der einzelnen,
denen man als Teilnehmer der höchsten menschlichen Kultur ähnliches nicht
zugetraut hat, begründet die
tiefgreifende Enttäuschung gegen Staat und Religion.
Diese Worte von Freud in
einer Abhandlung über Krieg und Tod beschreiben treffsicher das Empfinden einer
Minorität von Menschen gegenüber einer perfektionierten
Vernichtungsmaschinerie für die Tierwelt. Die Mordmaschine arbeitet pausenlos
gegen ihre frei lebenden, bestenfalls durch sogenannten Artenschutz gesicherten,
wie auch zur Gefangenschaft gezwungenen und andauernd agrarindustriell
reproduzierten Vertreter.
Das Problem ist, dass
die Menschheit die Tierwelt in all ihren Formen, in ihren Arten ausdrücklich
erhalten will, um den Status des
permanenten Vernichtungskrieges, eine Art Fließgleichgewicht des
Schreckens, gegen sie aufrecht erhalten und weiter führen zu können. Dieses
Wollen resultiert im Kern aber aus den rein ökonomischen Interessen der
Touristik-, Waffen- und Tiervermarktungsindustrie mit der hintergründigen
Absicht, dass nachkommende Generationen am kostenlosen Selbstbedienungsladen
Natur dauerhaft weiter verdienen und sich delektieren können.
Im modernen
Sprachgebrauch - als ethisches Postulat vorgeschoben - nennt man es Artenschutz,
wobei Artenschützer in der Regel
Leute sind, man denke nur an Betreiber von Tierparks und Zoos, die der Ethik und
dem Tierschutz meist gleichgültig gegenüber stehen; Nutztiere, deren Art nicht
bedroht ist, sind ihnen normalerweise nicht erwähnenswert.
Tiervernichtungskrieg
als organisierte Unterhaltungs-Industrie der kanalisierten Menschenaggression,
mit gemeinnützig staatlicher Förderung und gewollter Ablenkungswirkung für
die Massen, rundet das Bild. Die Formen der Ausbeutung in diesem Sektor reichen
vom Reitsport und Hundeschlittenrennen bis zu den Tötungssportarten des
Angelsports, der Sportfischerei und des Stierkampf als kulturelles
Erbe.
In der
Massenmenschenwelt, in einer Welt der Menschenmassen mit ihren genormten
Denkkategorien, werden freie Geister, denen diese Zusammenhänge, Abläufe und
Konsequenzen bekannt und bewusst sind, bestenfalls ignoriert, zunehmend aber
nicht mehr verstanden.
Die gesellschaftlich
akzeptierte Massenmeinung des Geistesproletariats ist die gültige, ist die
herrschende, verbindliche Meinung. Denken und Handeln barbarisiert und
nivelliert sich, proportional zum Anwachsen der Menschenmassen, auf einer Stufe
niedrigsten Niveaus – des
kleinsten gemeinsamen intellektuellen Nenners.
Die fehlende Sicht auf alle
Lebensformen zeigt, dass eine Höherentwicklung im Denken und Erkennen nicht
stattfindet, würde doch eine Höherentwicklung das Wollen bedeuten, das Leid aller Lebewesen zu mildern, nicht hingegen nur die Milderung des
Leides beim Menschen, erkauft mit unsäglicher Verstärkung des Leides der übrigen
Lebewesen.
Die erfolgreiche
Umsetzung dieser Geisteshaltung und Grundhaltung wird zusätzlich durch eine
Quelle gespeist, die Sigmund Freud in seiner Schrift vom „Unbehagen in der Kultur“ ausgeführt hat; R. Safranski hat
nachstehende Kernpunkte subsumiert.
Der Mensch als
Individuum unterliegt einer dreifachen Bedrohung, nämlich dem Verfall des
eigenen Körpers, Angriffen der Außenwelt und Gefahren im weitesten Sinne aus
der Beziehung zu anderen Menschen.
Um sich gegen diese
Gefahren zu wappnen, hat er im Laufe seiner Geschichte kulturelle Lebensweisen
entwickelt, die ihm Schutz gewähren, die ihm Sicherheit verschaffen.
Naturbeherrschung, Bekämpfung von Krankheiten, leben in sicherer Gemeinschaft,
Bändigung von Kriegsgefahren sowie lebenserleichternde Annehmlichkeiten wie
Heizung, Auto, Telefon etc., definieren die Eckpunkte des kulturellen Rahmens.
Freud stellt fest, dass
diese Kultur wiederum selbst Quelle von Leid werden kann und kein dauerhaftes Glück
mit sich bringt, welches nur im Inneren des Individuums gefunden werden kann.
Das Innere des Menschen wird jedoch von einem permanenten Kampf zwischen Eros
und Thanatos, zwischen Sexuallust und Todestrieb bzw. Destruktionstrieb, bewegt.
In jeder
fortgeschrittenen Kultur muss jedoch bei beiden Trieben auf eine hemmungslose,
ungehinderte Triebbefriedigung verzichtet werden, d.h. sowohl Sexualtrieb als
auch Destruktionstrieb können nur partiell und zum geringen Teil ausgelebt
werden. Da beide Triebe aber immanenter Bestandteil des Individuums sind, kann
kein Trieb ausgeschaltet und zum Verschwinden gebracht werden, muss also, um
ausgelebt werden zu können, sublimiert werden. Speziell beim Destruktionstrieb
ist diese Umlenkung, dieses Verschieben in andere Befriedigungskanäle durch
bestimmte Regularien gesellschaftsfähig geworden.
Feindbilder, ethnische
Minderheiten, Randgruppen und zunehmend auch dem herkömmlichen Weltbild
widersprechende ethische Minderheiten dienen als Ventil, auf welche sich Hass
und Ablehnung konzentrieren können, sollen, dürfen und müssen.
Die Aggressionsenergien
des Destruktionstriebes liegen somit im ständigen Kampf mit dem Gewissen, das
eine Verletzung gesellschaftlicher Normen aus Angst vor Ächtung in Schranken hält.
Hieraus resultiert eine dauerhafte Selbstqual im Individuum, da die vom Gewissen
behinderten Triebe, zumindest zeitweise, nach Entladung suchen.
Gesucht ist somit das
gesellschaftliche, vom Weltbild der herrschenden Kultur abgedeckte Feld, auf dem
die Triebentladung stattfinden kann und darf, ist doch, wie Freud feststellt, das
Glücksgefühl bei Befriedigung einer wilden, vom Ich ungebändigten
Triebregung unvergleichlich intensiver als das bei Sättigung eines gezähmten
Triebes. Die Unwiderstehlichkeit perverser Impulse, vielleicht der Anreiz des
verbotenen überhaupt, findet hier eine ökonomische Erklärung.
Waren es in der
Geschichte die regelmäßig stattfindende Kriege, die zur Abarbeitung des
Destruktionstriebes dienten, sind es heute Autobahnrasereien, in seltenen Fällen
Wirtshaushändel, in regelmäßigen Fällen aber Jagdgesellschaften.
Die Jagd ist
das heutige Ersatzmittel kriegerischer Auseinandersetzungen, die geförderte,
tolerierte und anerkannte Form der Triebentladung, die staatlich gewollte,
kirchlich abgesegnete Kanalisierung des individuellen Destruktionstriebes. Die
Jagd als Triebentladung, das Gefühl über ein anderes Wesen total verfügen zu
können, das sadistische Auskosten der Ohnmacht der Opfer, ist in Friedenszeiten
die letzte Möglichkeit, als Bürger ungestraft morden zu dürfen.
3.11.2011
Dr. Gunter Bleibohm